Nach reichlich Stau kamen wir erst gegen 19:00Uhr am Apartment gegenüber des Bahnhofes von Udine an. Nachdem alles hoch in unsere Wohnung für knappe 4 Tage gebracht wurde, blieben Ping, die Mademoiselle und T dort. Serge und ich parkten das Auto um und gingen noch schnellen Schrittes einkaufen. Dabei bemerkten wir schon, dass die Bahnhofsgegend ein interessantes Viertel war. Zurück in der Wohnung, entschlossen wir uns für heute nur Pizzen to go zu holen und starteten nun zu dritt zur präferierten Pizzeria. Ping und der kleine T blieben daheim. Udine zeigte sich heute Abend von seiner besten Seite. Wir waren noch nicht mal vom Grundstück auf der Straße, da hörten wir schon Geschrei und Gezeter. Direkt an unserem Eingangstor wurde ein Schreihals mit Handschellen von der Polizia fixiert. Der afghanische Lebensmittelladen nebenan schloss auch schon mal sicherheitshalber seine Tür. Geht ja gut los hier, dachten wir uns. Ein Tunnel, welcher als Unterführung unter dem Bahnhof entlang führte, war gesperrt, wodurch wir nicht ohne einen großen Umweg laufen zu müssen, an unsere Pizzeria kamen. Wer weiß, wofür es gut war. Eine Patrouille stehende Gruppe Soldaten bestätigten dies auch. Wir wunderten uns, dass wir schon mehrfach bewaffnete Einheiten gesehen hatten. Wie wir herausfanden, hat Udine ein Problem mit nächtlichen Gewaltausschreitungen. Die Polizei, in der gut 100.000 Einwohner zählenden Stadt, ist stark unterbesetzt, was in der Summe dazu führt, dass das Militär unterstützend patrouilliert. Im Sommer wurde dann zusätzlich ein Alkoholverbot für 60 Tage im gesamten Stadtgebiet angeordnet. Was hier am Bahnhof so rumschlich, war auch echt nicht feierlich und wir waren froh in der neu rausgesuchten Pizzeria angekommen zu sein. Es wurden vier Pizzen geordert und die Kellnerin erklärte erstmal dem Koch die Zutaten, welche er für die Zubereitung benutzen müsste. Serge atmete daraufhin mal tief durch. So etwas mag er ja. Im Apartment wurde Ping alles erklärt und noch ein paar Birra getrunken. Morgen wird sich Udine bestimmt von seiner besseren Seite zeigen. In der zweitgrößten Stadt der Region Friaul-Julisch Venetien gibt es keinen Massentourismus. Die Besucher welche Udine besichtigen wird man im Zentrum um den Piazza della Liberta und den Piazza Giacomo Matteotti finden. Beim erstgenannten schauten wir am Tempietto ai Caduti Della Grande Guerra und am Loggia del Lionello, den Stadtpalast, vorbei. So langsam bekamen wir Kaffeedurst und da wir nicht als Tedeschi auffallen wollten, wurden zum Moccachino und Cappuccino gleich Aperol Spritz und Limoncello Spritz, in der Sonne, bestellt. Doch wir können wahrscheinlich so viel Aperitifs trinken wie wir wollen, an die italienische Eleganz kommen wir nicht mal ansatzweise heran. Der Deutsche trägt Multifunktionsklamotten, aber beim Italiener sitzt alles wie aufgesprüht. Die Kleidung ist körperbetont und liegt an, wie ne eins, stellte Ping fest. Wir bummelten weiter durch die Straßen, um danach zum Castello di Udine hoch zu machen. Nachdem wir die Aussicht genossen hatten, kehrten wir im Casa della Contadinanza ein und probierten uns durch lokale Köstlichkeiten, wie friaulische Weine, Käse und Prosciutto di San Daniele, ein luftgetrockneter Schinken. Zufrieden gings zurück zum Apartment für eine kurze Pause. Auf dem Weg dorthin suchten wir uns vorsorglich mal ein Restaurant aus, in welches wir auch später am Abend einkehrten. Gut das wir dort zeitig einen Tisch okkupierten. Denn es wurde hier so voll, dass die Leute bis vor die Tür standen und auf Einlass begehrten. Also doch gut ab und zu den Tedeschi raushängen zu lassen. Voll gefuttert ging es abends zufrieden zurück. Einig waren wir uns, dass Udine Wort gehalten hat und uns seine bessere, gemütlichere Seite zeigte. Sonntag ist Calcio in Italien. Mit dem Bus ging es raus an das 1976 eröffnete Stadio Friuli. Es liegt außerhalb im Nordwesten der Stadt. Von der Haltestelle aus mussten wir noch ein Stück weit laufen. Teilweise neben der Straße ohne Fußweg. Mit T, dem kleinen Racker, hat mir das gar nicht gefallen. Solltet ihr mit dem Auto anreisen, können wir euch empfehlen, wenn die Möglichkeit besteht, die Parkplätze Richtung settore ospiti anzusteuern. Da sie kostenlos sind. Die angereisten Toro-Tifosi ließen es sich hier schon gut gehen. Auf kleinen Tischen wurde Essen vorbereitet und es gab Vino aus Pappbechern. Die Mademoiselle hätte am liebsten Mal näher geschaut, was es so genau gibt. Also rein in das moderne Stadio Friuli. Zweimal wurden schon Renovierungsarbeiten durchgeführt und bei Letzteren wurden diese komischen bunten und mosaikartigen Sitze montiert. Unsere Plätze befanden sich gleich neben dem Gästeblock. Wir wollten einen guten Blick auf die Tifosi des Grande Torino haben. Die Curva Maratona stellte sich zu Spielbeginn interessant auf. Die Gruppen warteten geschlossen am Mundloch, bis alle Zaunfahnen hingen. Passend dahinter wurden nun die dazugehörigen großen Schwenkfahnen platziert. Apropos Zaunfahne, ich habe mich wirklich auf die Fahne der Ultras Granata 1969 gefreut. Ich konnte sie schon mal 2018 bei dem Spiel Hellas Verona FC gegen Torino bestaunen. Mit diesen mittig überstehenden Totenkopf ist sie einfach ein Blickfang. Und dass die Gruppe schon seit 1969 besteht, macht es nur noch runder. Unser Blick wandte sich dann der Curva Nord von Udinese Calcio zu. Diese hat echt einen schlechten Zaun. Denn…. sie hat einfach keinen. Dementsprechend sind die Zaunfahnen sehr schlecht zu sehen. So etwas nervt mich. Nur die der Hooligans Teddy Boys war gut erkennbar, da sie hinten am Block an der Wand befestigt wurde. Doch mit Hilfe meiner Kamera konnte ich auf einer Werbebande hinter dem Tor erkennen, dass die violetten Freunde aus Salzburg angeflaggt hatten und die Curva Nord unterstützten. Die Union´99 Ultrà Salzburg waren mit einer Abordnung vor Ort. Die Freundschaft entstand durch gemeinsame Kontakte nach Ravenna. Anfangs zum Nord Kaos Udine. Die Union Ultrà schreiben auf ihrer Homepage „Durch die mehr als nur guten Kontakte zur restlichen Kurve in Udine (allen voran das Collettivo Inc Udine, aber auch zu den Ultras Udinese 95, den Supporters und den Friulani al Seguito) hat sich an dieser Freundschaft auch durch die Auflösung des NK´89 kaum etwas geändert.“ Und diese Freundschaft existiert nun schon seit über 24 Jahren! Unsere Plätze waren tatsächlich gut gewählt, wir hatten die Gäste gut im Blick und diese legten sofort los. Vorn im Block die Ultra-Gruppen, nach oben weitere aktive Fans und am Ende des Blockes gemäßigtes Fanklientel. Wenn alle drei Parteien gemeinsam sangen, kam das schon ordentlich. Bei den Anti-Gesängen gegen den Präsidenten, welcher wohl ein Bastardo ist und sich ficken soll, war dies der Fall. Viele im Block sangen das Lied in Richtung Haupttribüne, oft mit dem Mittelfinger unterstützend. -Urbano Cairo devi vendere, vattene- was man mit Urbano Cairo du musst verkaufen und hau ab übersetzen kann. Danke an Simone von Lazio, welcher uns immer wieder Infos aus Bella Italia zukommen lässt. Ciao amico mio. Urbano Cairo ist der Präsident Schrägstrich Eigentümer des Clubs. Der Konflikt zwischen dem Presidente und den Tifosi schwelt schon eine ganze Weile. Als im Sommer 2024 der Spieler Raoul Bellanova an Atalanta Bergamo transferiert wurde und Cairo davor beteuerte, Bellanova würde nicht verkauft werden, lief das Fass endgültig über. Eine große Demonstration gegen Cairo wurde spontan organisiert. Es kamen 10.000 Teilnehmer. Weiter, Ende November zum Heimspiel gegen Monza, gab es erneut eine Demo, vor der Curva Maratona, an welcher 5000 Menschen teilnahmen und diese zusätzlichen die erste Halbzeit des Spieles vor dem Stadion boykottierten. Und bei dem Gerücht, dass der Klub mit Red Bull in Verhandlungen stehen würde, schrillen selbstverständlich alle Alarmglocken. Das Signore Cairo dies dementiert, lasse ich mal so im Raum stehen.
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Hier mal ein paar Informationen zu den Granatroten: Italien fasziniert Fussballreisende allgemein, dementsprechend gibt es viel in Fanzines zu lesen, da ich diese seit meiner Jugend sammle, hatte ich einiges zu durchstöbern und zu lesen. So kann ich euch erzählen, dass die erste Gruppe, welche die Geburtsstunde der organisierten Unterstützung in der Curva Maratona einleitete, 1951 die Fedelissimi Granata waren. Das Match 1971 zwischen Torino und Vicenza war ein Eckpunkt für die Namensfindung der späteren Ultras Granata. Torino führte bis kurz vor Abpfiff 2:1. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse auf dem Platz und das Spiel ging letztendlich doch 3:2 an Vicenza. Die Tifosi machten den Schiedsrichter dafür verantwortlich und verfolgten ihn nach dem Spiel mit Autos bis zum Flughafen. Es gab deswegen einiges an Chaos in der Stadt. Dies griff natürlich die Presse auf und nannte die Fans abwertend „Ultras“. Was als Diffamierung gedacht war, wurde von den Fans einfach umgedreht. Der Ausdruck „Ultras“ gefiel den Tifosi. So entstanden diverse Zaunfahnen mit dem Schriftzug und dem markanten Totenkopf. Im Jahr 1974 wurde der beliebte Coach Gustavo Giagnoni entlassen. Dadurch kommt es innerhalb der Fedelissimi Granata zum Streit, wie man mit dem Thema umgehen sollte. Die Jungen wollten auf die Barrikaden und die ältere Generation einen ruhigeren Umgang mit dem Thema. Anscheinend lag da aber schon einiges im Argen und die Jugend trat aus der Gründungsgruppe aus. Es entstand der „Maratona Club Torino Ultras Granata„ also die Ultras Granata.
Weitere wichtige Gruppen in der Curva Maratona waren die Leoni della Maratona, verantwortlich für Choreografie und für die damalige Zeit riesigen Blockfahnen, die Eagles, die Granata Korps, eine Abspaltung der UG und mit rechter Gesinnung. Die Ultras Granata vertraten damals eher linke Positionen oder die Viking. In den 1990er Jahren lösen sich die Leoni della Maratona auf und die Ultras Granata werden nun zur Führungsgruppe der Tifoseria.
Die meisten Informationen sammelte ich aus den Fanzines von Josef Gruber. Sein "Unterwegs“ erscheint seit 1996 und ist ein Potpourri aus Reiseberichten, wahnsinnig vielen Informationen und Interviews.
Bei unseren Spiel waren noch exemplarisch die CAST 1983 (steht für Amici Sostenitori del Toro – Unterstützende Freunde des Stiers) mit Zaun- und Schwenkfahnen vertreten. Die Tennent’s Group. Zu ihnen gehörte der schlichte, aber coole und aussagekräftige Doppelhalter „ MAI GOBBI“. Gefiel mir.
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Udinese Calcio konnte kurz nach der Halbzeit 2:0 in Führung gehen. Was die Jungs und Mädels in der Curva Nord natürlich zum Feiern brachte. Da war viel Bewegung im Block. Doppelhalter oder Schwenkfahnen immer schön durcheinander oben und der Schal ist in Udine auch ein wichtiges Stimmungselement. Il Toro konnte aber schon in der 64. Minute ausgleichen, was auch der Endstand war, und so hatten die Granatroten noch mehr Anreiz zu singen. Obwohl in Italien die Stimmung nicht groß mit dem Spielverlauf zu tun hat. Solo per la maglia!
Wir waren zufrieden. Auch, dass der kleine T das Spiel relativ ruhig mitmachte. Für ihn sind dies alles tausend neue Eindrücke und Geräusche. Die Micky Mäuse auf den Ohren helfen da natürlich. Die Hoppergruppen machten sich nun auf den Weg zum Doppler. Wir waren mit Kind on Tour und aßen erstmal hinter der Heimkurve Hamburger und Piadina mit Prosciutto di San Daniele e formaggio und tranken noch ein Bierchen. Hier auffällig, viele Tifosi trugen Nikkis und Pullover von den Hooligans Teddy Boys.
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Die Tifoseria von Udinese Calcio verdient natürlich auch ein paar Worte:
Der Startschuss für die organisierte Unterstützung begann 1979 mit der Ultragruppe Black and White Superstars (B.A.W.S.). Kurze Zeit später gründeten sich mit dem ungewöhnlichen Namen die Hooligans Teddy Boys (H.T.B.), welche auch heute noch, so unsere Einschätzung, im und um das Stadion gut sichtbar und aktiv sind. Sei dies, wie schon geschrieben, durch ihre erkennbare Zaunfahne, den Doppelhaltern, in verschiedensten Größen und Formaten, den Unmengen an Schals in der Curva Nord oder den Nikkis und Pullovern der Tifosi. Im Fanzine Unterwegs Nr.8 wird geschrieben, dass sie ihre Zaunfahne bei einem Spiel in Turin an die Viking Juve verloren haben und nach einem Auswärtsspiel Rom trafen sie auf eine große Gruppe Neapolitaner, gegen welche ihre Auswärtsfahne nicht verteidigt werden konnte. Als eine Sektion der H.T.B. ging in den 1990er Jahren die Tolmezzo Sektion hervor. Von ihnen konnte ich auf meinen Fotos einige Schals erkennen. Eine kleine Zaunfahne hing auch über der Werbebande. Ich würde behaupten, dass die Schriftart, welche die H.T.B. benutzen, die gleiche, wie auf den Schals und der Fahne der Sektion Tolmezzo ist. Anfang der 80er Jahre gründeten sich die Nuova Guardia Ultrà. Ihre Zaunfahne hängt im oberen Bereich der Curva Nord und bei unserem Spiel zeigten sie eine kleine Blockfahne in ihren Bereich. Sah aber nicht ansehnlich aus. Das erwähnte Nord Kaos, mit welchen die Freundschaft mit den Union´99 Ultrà begann, gründete sich 1989.
Eine weitere aktuelle Führungsgruppe, neben den Hooligans Teddy Boys, sind die Ultras Udinese 1995. Hervorgegangen aus den Destra Tagliamento und so wie ich das erkennen konnte ist ihr Standort direkt hinter dem Tor. Außerdem bringen sie das Fanzine On The Terraces (mit dem Untertitel Storie e pensieri del gruppo Ultras) heraus. Was bei kopane ja immer eine Erwähnung wert ist. Das Collettivo Inc Udine, welches die Lilaweißen aus Salzburg auch erwähnen, gründete sich 2003. Als ich mich zu Hause durch meine Fotos klickte, fand ich bei einigen Schalparaden Exemplare alter und renommierter Gruppen der Curva Nord. Z. B. von der Brigata Ultrà oder den Alcooligans. Gegründet 1982, den H.T.B. nahestehend, ebenfalls die gleiche Schriftart verwendend und stark am Glas.
Eine weitere Freundschaft besteht zu der Tifoseria von Vicenza. Diese historische Beziehung geht bis in die 80er Jahre zurück. Sie entstand auch durch die gemeinsame Abneigung gegen das Bündnis Triestina-Verona. Zwei Schals der Rotweißen konnte ich beim heutigen Spiel ebenfalls sichten.
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Nach unserer Stärkung machten wir weiter zum Parco Moretti und zum angrenzenden Tempio Sacrario di San Nicolò. War aber nicht wirklich was. Zu Fuß nun über die Innenstadt ins Apartment. Dort wurden wieder Pizzen und Sarajevski Ćevapi to go geholt. Wir wurden wieder in der Pizzeria vom Anreisetag vorstellig und die Tedeschi wurden sofort wiedererkannt…… verdammt. Die Hackfleischröllchen hatten wir in Bella Italia auch noch nicht. Als Abendgestaltung wurde auf Netflix ein Film geschaut und der Chefredakteur im Kopane-Chat geärgert, da er im ZO-Saisonrückblick erwähnt wurde.
(Der Kulturbeauftragte)

Eine neue Ausgabe des "Abhaun!" ist erschienen. Nach 11 Jahren geht die Abhaun-Reihe mit der 6. Ausgabe weiter. Ein Klick auf das Bild bringt euch zu den weiteren Informationen.
so langweilig war es nun nicht


Dom von Udine

Porticato San Giovanni

Piazza Giacomo Matteotti
Castello di Udine

Loggia del Lionello
